Blumen und Tomaten

Blumen und Tomaten

Mord auf dem Nil - oder die Agatha-Christi-Versteher

"Tod auf dem Nil" von Kenneth Branagh (Regie und als Poirot), Michael Green (Buch nach Agatha-Christie), Haris Zambarloukos (Kamera)

 

(22.2.22) Bombastisches Kino – und auch wieder nicht. Die Ansichten von atemberaubenden Nil-Landschaften hätten für mich länger stehen bleiben können und zwei, drei mehr hätten es auch sein dürfen, obschon man den Computer ahnt. Der wirkte nicht nur bei den Panoramen, wie ich danach im Internet las – aber im Kino fand ich alles echt außer den ägyptischen Tempeln aus Styropor. Im Nachhinein hätte ich mir aber doch ein paar reale ägyptische Straßenszenen und spürbare Hitze gewünscht wie in der 1978er-Version mit echtem Nil und den richtigen Tempeln sowie Peter Bogdanovitch als Poirot. Das war ein Aufmarsch der damaligen Superstars über den Bootssteg, irgendwie passend, weil sie nacheinander erschossen werden wie eine Parade von Schießbudenfiguren.

Diese formale Schlichtheit und auch die leise Selbstironie hat Branaghs/Greens Version nicht –. Ihre Neigung, den Stoff detailreich auszuweiten und zu vertiefen, geht allerdings hier besser auf als in ihrem Vorgänger „Orientexpress“. Sicher macht die Handlung immer noch manche Schleife zuviel, aber meist erhellt das durchaus das Umfeld der Charaktere, deren eher subtile Zeichnung sich aber auch ein wenig an der extrem konstruierten Geschichte reibt, vor allem, wenn einige Figuren im Rückblick grandiose Versteller sein müßten.

Das Ganze ist meist visuell faszinierend, teilweise wie ein Bilderrausch, nur ab dem ersten Mord ist das so opulent nicht mehr durchzuhalten, jetzt muß verhört werden und es dominieren die „sprechenden Köpfe“.

Gegenüber der älteren Filmversion ist das Ensemble gleichsam neu durchmischt, d.h. die Charaktere heißen teilweise nur noch so und ihre Beziehungen untereinander sind anders. Besonders überraschend, wenn teilweise sogar andere Figuren ermordet werden. Das Grundthema ist Liebe, für die man zu morden bereit ist. Das Thema klingt immer wieder an und wird zur Klammer, fast jeder wird verdächtigt und hat ein mit Liebe verbundenes Mordmotiv. Bis der wirkliche „Mörder“ auffliegt, der es natürlich auch aus Liebe tat und – um ein ungerechtes Schicksal bei der Verteilung materieller Güter auszugleichen. Aber die soziale Komponente bleibt in dieser abgeschlossenen High-Society-Truppe auf dem Schiff eher diffus, ebenso der Bezug zur mehr oder weniger draußen bleibenden Unterklasse, auch der Ägyptens, zu dieser Zeit faktisch immer noch ausgebeutete Kolonie. Zwar fehlt der karikaturhafte einheimische Schiffsmanager von 1978, aber erst gegen Ende zeigt sich Kolonialismus. Und nachdem man schon die völlige Abwesenheit von Rassismus in dieser erfundenen 30er-Jahre-Welt der grandiosen Kostüme hingenommen hat – drei Hauptfiguren sind dunkelhäutig und eine hat eine vom Umfeld völlig akzeptierte Beziehung zu einem Weißen – taucht Diskriminierung dann wieder unvermittelt heftig, als würde der Film kurz das Genre wechseln, in einer kleinen Erzählung von Salome Otterbourne auf. Die ist hier nicht wie früher die überkandidelte Autorin von freizügigen Trivialromanen, sondern eine gediegene Bluessängerin und gibt entsprechende Einlagen – mit der Stimme einer authentischen Größe der Zeit: Rosetta Tharpe.

Zwei Frauen wären besonders geeignet gewesen, die sozialen Bezüge in deftigen Widersprüchen zu zeigen, aber es bleibt inkonsequent – weil Branagh/Green zuviel wollten und vieles nur anrissen?: Mrs. Van Schuyler ist jetzt eine Salonkommunistin, die sich in dieser bourgeoisen Umgebung letztlich wohlfühlt, auch wenn sie sie ständig kritisiert. Und sie terrorisiert hier kaum ihre Zofe Mrs. Bowers – war dieser Gegensatz zu komisch? – sondern beide sind ein Paar, so stellt sich heraus, nachdem ich schon erleichtert die Abwesenheit des heute obligatorischen Quotenschwulen konstatiert hatte. Eine frühere Spur dahin hatte schon die Besetzung mit Jennifer Saunders und Dawn French gelegt, die früher einmal als lesbisches Comedy-Duo höchst erfolgreich agiert hatten. Hier wirkten sie unangemessen gezügelt, dabei hätte ein deutlich humorgefärbtes Gespann ein lockerndes Gegengewicht zu den manchmal literarisch-philosophischen Äußerungen des Detektivs sein können, den Branagh wieder selbst gibt. Mit traumatisierender Kriegsvergangenheit und dem Tiefsinn Hamlets. Was Hercule Poirot, die alles durchschauende Märchenfigur, etwas überfrachtet.

Irgendwie wirkt es, als wolle Kenneth Branagh nach vielen Erfolgen als weitgehend anerkannter Shakespeare-Verfilmer und –Darsteller, vom Arthouse-Kino über den Krimi-Kommissar Wallander zum King des Blockbuster aufsteigen, den dann aber „künstlerisch wertvoll“ machen. Und Agatha Ch. somit als Erster endlich wirklich verstehen... Nunja. Saftig-nostalgisches Breitwand-Kintopp ist es auf jeden Fall.

 

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26.2.22/ Und nochmal Ägypten: Diesmal vor 3tausend Jahren. Der junge Pharao Ramses XIII, fiktiv, aber zu Zeiten von Romanautor Prus für authentisch gehalten, im Kampf mit der intriganten Priesterkaste um Reformen des Staates.

Polen hat einige wichtige Regisseure hervorgebracht und höchst prägnante Filme über die polnische Geschichte. Aber einen Monumentalfilm? Ja, einen von ernsthaftem Charakter, wie die Kritiken teilweise vermerkten,1966 gedreht. In Polen ist die Vorlage, der Roman von Boleslaw Prus, ein Klassiker.

Bis auf einige Kampfszenen agieren die Schauspieler eher statisch aber nich unlebendig. Es entspricht dem Stoff und dem Interieur – Wüste und Monumentalbauten. Und natürlich auch der Entstehungszeit des Films. Der dem Zuschauer keine Interpretation aufzwingt, keine eindeutige Metapher ist für Kampf der kommunistischen Staatsmacht mit der katholischen Kirche, noch für das Gegenteil, einsamer Oppositioneller gegen die Partei-Ideologen.

Manchmal etwas lang, aber relativ authentisch in Ägypten, aber auch in der usbekischen Wüste gedreht mit 2000 offensichtlich braun gefärbten Rotarmisten. Und teils echten, teils recht gut nachgebauten Tempeln und Riesenstatuen. Das Ganze war sicher ein unglaublicher Kraftakt, was sich aber nicht zu sehr aufdrängt, und wurde mit einigen Preisen belohnt. Und mit einer Nominierung für den Oskar als besten ausländischen Film.

„PHARAO“ ist zu sehen auf youtube – und zu empfehlen.

https://www.youtube.com/watch?v=bTDhLwcxSPw&t=6091s