Blumen und Tomaten

Blumen und Tomaten

AUGUSTE & AUGUST - eine Fortsetzung

Frei nach Friedrich Wolf und Hans Reimann

(Die Hörspiel-CD mit Liedern gibt es auch noch)


In der "Weihnachtsgans Auguste" (Buch, Hörspiel, 2 Filme, Puppenspiele, Theaterstücke, Ballett) wird der Weihnachtsbraten zum Familienmitglied. 

Nun die Fortsetzung - eine Generation später: Immer wieder wurden Tiere als Weihnachtsbraten... dann doch nicht gegessen. Die Familie - Großvater, Vater mit Freund, 2 Adoptivkinder und die betagte Gans Auguste - wohnt jetzt auf dem Land. DiesesJahr hatte man sehr bewußt einen Karpfen gekauft. Aber Opa Löwenhaupt phantasierte, was man mit dem durchaus machen konnte - wenn man ihm das Wasser abgewöhnt. Worüber die Kinder nur lachen konnten.

(...)

 

Paul stand auf der Wiese.  Auf dem Kopf hatte er einen alten zerbeulten Zylinder und in der Hand eine Peitsche. Kurt hatte sie ihm gebastelt und dazu einen Kreisel geschenkt. „Wir hatten früher fast nur ganz einfaches Spielzeug“, erzählte er und hatte Paul gezeigt, wie man mit der Peitschenschnur den Kreisel antreibt, so daß er sich dreht und übers Hofpflaster tanzt.

Nun stand Paul also mit dieser Peitsche in der Hand auf der Wiese. Links von ihm stand ein Wassereimer und rechts eine kleine Zinkwanne. In der anderen Hand hielt er einen Reifen. Alles war, wie er es aus dem Zirkus kannte. Jedenfalls fast. Da war ein Löwe durch den Reifen gesprungen, von einem Podest zum anderen.

Hier auf der Wiese war natürlich weit und breit kein Löwe zu sehen. Und auch sonst fast nichts. Auguste saß irgendwo im Gras, aber Peter beachtete sie nicht.

Und was war in der Wanne? Wasser. Und in dem Eimer? Wasser. Und noch etwas anderes. Nämlich der Karpfen. Der nun gleich aus dem Eimer im hohen Bogen durch den Reifen in die Wanne springen sollte.

„Alleh, hopp!“ rief Paul, hielt den Reifen vor sich und knallte mit der Peitsche.

Was geschah? Im hohen Bogen sprang er über die Wiese – ein kleiner Grashüpfer.

Und sonst? Nichts!

„Dummer August!“ murmelte Paul.  Auguste, die Gans, schnarrte einmal, als wollte sie sagen: „Was erwartest du von einem blöden Karpfen?“ Und Paul murmelte: „Na, ich hab es eben mal probiert.“

Kurz darauf setzte er den Karpfen wieder in die große Tonne auf dem Hof und ging. Da schwamm der große Fisch nun langsam seine Runden. Aber nicht lange. Paula kam. Sie ging zur Tonne und schaute sich nach allen Seiten um. Und dann griff sie hinein.

Paula schob ihren Puppenwagen über den Feldweg. Ganz langsam und vorsichtig. Im Puppenwagen war eine kleine Wanne mit Wasser. Und darin schwamm – August.

Paul und Paula lagen abends im Bett. Peter war heute dran mit Geschichtenerzählen. Aber wie so oft fiel ihm nichts Interessantes ein. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er einfach etwas aus einem Buch vorgelesen: Aber das wollten die Kinder nicht. Sie wollten lieber eine selbsterdachte Geschichte hören, die Peter selbst gar nicht so großartig fand und die meistens ohne richtigen Schluß zu Ende ging, einfach weil ihm keiner einfiel. Seinen Kindern aber gefiel auch die schlechteste Geschichte ihres Vaters Peter – denn für sie war er ihr Vater, genau wie Kurt –  besser als jede noch so spannende Geschichte aus einem Buch.

Peter versuchte also, eine Räubergeschichte weiterzuerzählen, die er vor drei Tagen begonnen hatte. Er merkte gar nicht, daß es inzwischen in der Geschichte überhaupt keinen Räuber mehr gab, dafür aber einen Fisch. Genauer gesagt einen Karpfen. Denn die Kinder hatten ihn durch immer wieder neue Fragen dazu gebracht, daß er diesen Karpfen eingefügt hatte und langsam ging es schon um nichts anderes mehr. Er erzählte zu Ende, natürlich überlebte der Karpfen und heiratete am Ende die Großmutter der Räuberbande. Ihm fiel einfach nichts anderes ein. Dann gab er jedem seinen Gutenachtkuß.

Als Peter das Licht ausgemacht hatte und rausgegangen war, sagte Paula:

„So ein Blödsinn!“ „Na, wieder eine von seinen Geschichten,“ sagte Paul. „Nein, ich meine, das mit dem Karpfen.“ „Ja eben, die Karpfengeschichte!“ „Nein, ich meine unseren Karpfen, den richtigen. Denkst du, man kann ihn dazu bringen, daß er...“ „Daß er was?“ „Nichts. Den kann man zu gar nichts bringen. Ist nur ein Fisch! Oder?“ „Natürlich ist er nur ein Fisch! Oder würdest du ihn im Puppenwagen ausfahren?“ „Nie im Leben. Schade. Paul, dein Zirkus braucht auch mal wieder ein neues Tier. Die Kaninchen und den Papagei will keiner mehr sehen. Aber ein springender Karpfen...“ „Ja, denkst du denn, daß er das kann? Auf Kommando?“ „Niemals!“ lachte Paula. Und dann fragte sie: „Hast du es versucht?“ „Mensch Paula, denkst du, ich hab ne Macke? Natürlich nicht! August ist nur ein dummer Fisch, der gar nichts kann!“

So redeten sie noch eine Weile. Dann sprachen sie immer weniger. Und dann war Stille in der Dachkammer des alten Bauernhauses.

Paul stand mit einem neuen glänzenden Zylinder auf dem Kopf in der Arena. Bis auf den letzten Platz war alles besetzt. Auguste, die Gans, im silbrig glänzenden Gala-Pullover, war hier Fräulein Nummer. Das heißt, sie trug vor jeder Zirkusnummer ein Schild um die Manege und darauf stand die Nummer der folgenden Nummer. Nummer nennt man ja im Zirkus die Darbietungen der Artisten und dressierten Tiere.

Aber vor allem war Auguste Seiltänzerin.

Und deshalb war sie die Sensation in diesem Zirkus. Bis heute. Heute trat zum erstenmal August auf, der Karpfen. Und deshalb war es so voll.

Opa Löwenhaupt dirigierte die auf einem Balkon sitzende Zirkuskapelle. Jetzt ließ er sie ein neues Musikstück beginnen. Auguste trug die Nummer Sieben herum.

Da öffnete sich ein Vorhang und Paula kam herein. Sie schob ihren Puppenwagen bis an ein kleines rundes Podest. Und hopp sprang August aus dem Wagen und auf dieses Podest.

Paul stellte sich in Position. Da kam Auguste angewatschelt. „Was willst du denn?“ fragte Paul, „du bist jetzt nicht dran!“ Aber dann hatte er eine Idee. Er nahm den Reifen und hielt ihn Auguste hin. Sie drehte den Kopf weg. Aber Paul sagte „Faß!“ und guckte ernst. Letztlich schnappte sie nach dem Reifen und hielt ihn hoch. Sie wußte ja, was er von ihr wollte.

Paul hob die Peitsche und knallte. „Alleh hopp,“ rief er. Und August krümmte sich erst und dann streckte er sich plötzlich, stieß sich dadurch vom Boden ab und sprang so in die Luft. Er flog durch den Reifen, den Auguste im Schnabel hochhielt, auf ein anderes Podest, während Opa Löwenhaupt die Zirkuskapelle immer lauter spielen ließ.

Alles klatschte. Das Ganze wiederholte sich und August sprang zurück. Aber jetzt  machte er dabei einen Salto, das heißt, er drehte sich in der Luft einmal um sich selbst. Wieder klatschten alle.

Dann hüpfte er zu einer Strickleiter und hüpfte von Sprosse zu Sprosse hinauf.

Schließlich sprang August auf eine Schaukel, die in höchster Höhe hing. Er begann zu schaukeln, immer mehr und dann – während Opa Löwenhaupt die Kapelle zum Schweigen brachte und lautlose Stille im ganzen Zelt eintrat – machte der Karpfen einen Riesensprung mit dreifachem Salto, und landete auf einer zweiten Schaukel. Die Kapelle spielte einen Tusch und das ganze Zelt spendete donnernden Applaus.

Und Auguste? Stand wieder auf der Seite und guckte weg. War sie ein bißchen beleidigt? „Ein fliegender Karpfen, was ist das schon?“ schien sie zu denken.

Immer mehr Leute wollten den fliegenden August sehen. Und jeden Tag war der Zirkus ausverkauft. Auch am Sonntag. Aber am Montag war der Zirkus geschlossen und die ganze Familie ging spazieren. Die Vorstellungen waren anstrengend und so waren alle froh, mal etwas Freizeit zu haben. Auch August war dabei. Paula schob ihn im Puppenwagen, ihre Puppen mußten zu Hause bleiben. Er thronte auf drei Kissen und  guckte sich die Welt an, die vorüberzog. Bäume, Wiese, Himmel.

Auguste hielt sich etwas abseits und watschelte in größerem Abstand hinterher. Niemand beachtete die Gans. Die ganze Gruppe näherte sich dem See.

August wurde unruhig und zappelte ein bißchen, als er das blaue Wasser sah, aber alle waren im Gespräch über eine neue Nummer mit August vertieft und merkten nichts. August sollte mit einer Kanone in die Luft geschossen werden. So lange und so weit war noch nie ein Mensch geflogen, ein Karpfen schon gar nicht.

Nun stand die ganz Familie am Seeufer, außer Auguste, die sich auf einer Wiese ausstreckte. „Auguste, wo biste?!“ rief Opa Löwenhaupt, aber Peter sagte: „Laß sie mal, sie muß sich auch mal von uns erholen! Jeder will mal alleine sein! Auch eine Gans.“

Da plötzlich geschah es. August krümmte sich – und dann sprang er. Mit einem Riesensatz landete er im See.

„Auch ein Karpfen!“ sagte Kurt. „Wie? Was ist mit August?“ fragte Paul und Kurt sagte: „Ich meine, der will auch mal alleine sein. Im Wasser. Da ist er ja zu Hause – als Karpfen! Laß ihn nur.“

August war im Wasser verschwunden und nur ein paar kleine Luftbläschen zeigten, wo er war. Die Bläschen wurden immer weniger. Plötzlich tauchte August auf, schien nach Luft zu schnappen und ging zappelnd wieder unter.

Die ganze Familie schrie auf. „Tut was!“ stieß Opa Löwenhaupt hervor. "Was denn?" fragte Kurt und versuchte, ganz ruhig zu bleiben, "es ist ein Fisch, jetzt ist er im Wasser, ist doch ganz normal, oder?"

"Er ertrinkt", schrien die Kinder immer wieder. Jedenfalls tauchte August nicht mehr auf  und es gab immer weniger Bläschen.

Kurt überlegte immer noch. Aber dann warf er kurzentschlossen seine Jacke ab, riß sich die Gummistiefel von den Füßen und sprang in den See. Eine halbe Minute blieb er unter Wasser. Als er wieder auftauchte, schrien alle: „Hast du ihn?“ Kurt schüttelte den Kopf und verschwand wieder im See.

In diesem Moment flog etwas über die Köpfe. Es war Auguste. Mit ausgebreiteten Flügeln – so hatte man sie noch nie gesehen und deshalb vergessen, daß sie als Gans auch fliegen konnte – flog sie auf die Wasseroberfläche zu. Kurz vor der Landung nahm sie die Flügel wieder an den Körper und schoß Kopf voran wie ein Pfeil ins Wasser, so daß es kaum Wellen gab.

Atemlose Stille folgte. Kurt tauchte wieder auf, sah die schweigend wartende Familie und verschwand wieder.

Und nun sah man es an einer weit entfernten Stelle sprudeln. Dann kam erst ihr Kopf und dann die ganze Auguste zum Vorschein. Und unter ihrem einen Flügel schimmerte es silbrig.

Auguste brachte August an Land. Peter beugte sich über ihn und legte seinen gespitzten Mund an das Karpfenmaul. „Was macht er denn?“ fragte Paula. „Wiederbelebung,“ erklärte Kurt, der inzwischen aus dem Wasser gekommen war, „er bläst ihm Luft ein, damit er wieder atmet.“

Aber August rührte sich nicht. Peter versuchte es noch ein paarmal. Da plötzlich zuckte August, spuckte einen Schwall Wasser aus – und lebte.

„Wo ist denn Auguste?“ rief Opa Löwenhaupt plötzlich. Und alle sahen, wie Auguste sich wieder auf ihrer Wiese ausgestreckt hatte und sich sonnte, als wäre nichts gewesen.

„Auguste ist doch die Beste!“ rief Paula und klatschte in die Hände, immer lauter und lauter, bis....

... sie erwachte. War das mit August im Zirkus und im See wirklich passiert oder nur ein Traum, fragte sie sich? Sie sprang aus dem Bett und guckte aus dem kleinen Dachfenster in den verschneiten Hof. Dort stand die Tonne. Und nach Kurzem sah sie August kurz an die Wasseroberfläche steigen. Genau wie gestern.

Und Paula versuchte sich an den Traum zu erinnern, denn den wollte sie nachher unbedingt erzählen.

Alle waren beim Frühstück. Die Menschen in der warmen Küche am Tisch und die Tiere im Stall. Auguste im Hof und August in seiner Tonne, wo er täglich auch Fischfutter hineingestreut bekam und durch seine Bewegungen das kalte Wasser nicht zu Eis frieren ließ. Die Kälte machte ihm sowenig aus wie Auguste.

Paula erzählte ihren Traum und es wurde viel gelacht. Kurt hörte zu und las dabei  Zeitung. „Hört mal,“ sagte er auf einmal, „heute ist wirklich Zirkus. Der Zirkus Eberhazi gibt seine erste Vorstellung in Gagern. Da könnten wir doch hinfahren!“

„Was zeigen sie denn? Drei dressierte Schweine?“ fragte Opa Löwenhaupt.

„Ach, nur zehn Elefanten, weiter nichts. Und Pferde, Artisten und Clowns“, sagte Kurt, „Zehn Elefanten in einer Manege! Das habe ich noch nie gesehen.“

„Keine Gans auf dem Seil? Und keinen Karpfen am Trapez?“ fragte Peter grinsend.

„Sowas gibt’s doch nur im Traum oder in den blöden Geschichten, die sich manche Erwachsene für die Kinder ausdenken“, sagte Paul mit ernstem Gesicht.

Und Paula fügte hinzu: „Und manche denken auch noch, daß Kinder sowas glauben!“

Die Erwachsenen lachten. Dann frühstückten sie weiter.

Und plötzlich fragte Opa Löwenhaupt: „Und was essen wir nun zu Weihnachten?“